Kritische Aspekte im Werk Ayn Rands und im Objektivismus

Keine Philosophie ist unantastbar, auch wenn die späteren Anhänger es gerne so hätten. So finden sich natürlich auch in Bezug auf den Objektivismus viele kritische Aspekte, die man nicht unerwähnt lassen sollte. Diese Zusammenstellung setzt sich aus meinen eigenen Hinweisen zusammen und ist keine Sichtung von Kritiken in der Literatur oder von anderen Personen. Worauf ich hier verzichten möchte, ist eine Kritik an der Person Ayn Rand. Chomsky nannte sie z.B.  "one of the most evil figures of modern intellectual history" und Albert Ellis klassifizierte sie in einer Ferndiagnose als manisch depressiv. Eine solche Kritik ist m.E. intellektuell irrelevant. Chomskys Werk bleibt unbestritten ein Meilenstein in der Geistesgeschichte, auch wenn er durchaus der intellektuellen Unredlichkeit (vgl. z.B. sein beständiges Ignorieren gewichtiger Argumente, wie die von Paul Postal) und einer unmenschlichen Dogmatik im Umgang mit Covid-19-Impfungen (die Ungeimpften sollten isoliert und die Versorgung mit allem Lebensnotwendigen ihnen überlassen werden National Post Link) bezichtigt werden kann. In Bezug auf Ayn Rand muss dies sehr stark gemacht werden, weil man doch das Gefühl bekommt, dass es mehr ideologische Gründe sind, aus denen heraus ihre Biographie und Person als Strohmann angegriffen wird, so dass eine wirklich fundierte Auseinandersetzung mit dem Werk gar nicht erst stattfindet. In diesem Sinne sollen hier wirklich nur werkrelevante Punkte genannt werden.

Evoultion und angeborene Ideen

Ayn Rand spricht davon, dass Perzepte erst in Konzepte/Begriffe integriert werden müssen. Angeborene Dispositionen außer dieser Integrationsfähigkeit lehnt sie strikt ab. In diesem Sinne folgt sie dem klassischen Tabula-rasa-Prinzip. Mit diesem gibt sie allerdings der Umwelt eine überragende Rolle, die sie nicht weiter diskutiert. Woher aber kommt der kognitive Mechanismus der Integration? Evolution wird bei ihr nicht als wichtiges Kerngebiet angeführt, sieht man von der in der Luft hängenden aristotelischen Stufenfolge ab. Ist es vlt die Sorge, dem Materialismus zu nahe zu kommen? Es kann heute m.E. niemand mehr ignorieren, dass wir Menschen mit einer kognitiven Grundausstattung zur Welt kommen, die Umweltdaten strukturiert und ohne unser Zutun in Muster/Einheiten/Schemata sortiert. Hier überschätzt sie die Macht der Fokussierung unserer bewussten Aufmerksamkeit doch sehr.

Punkt Null-Mythos

Ayn Rand betont wesentlich die individuelle Schöpferkraft, lässt aber die Voraussetzungen für diese außen vor. Sie beantwortet also nicht die Frage nach einem gerechten Ausgangspunkt für einen gerechten Wettbewerb, sie geht einfach davon aus, dass alle mit den selben Möglichkeiten agieren können (dies ist, was ich Punkt Null-Mythos nenne).

Nach ihrer Konzeption (dies zeigt die heutige Entwicklung) wird es unweigerlich so sein, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, da ein einfaches Umschalten auf staatliche Regellosigkeit nicht den zuvorigen Zustand der historisch gegebenen Wettbewerbsverfälschung nivelliert. Hier sind keine Vorschläge für einen Ausgangspunkt vorhanden, wie z.B. Abschaffung von Erbvorteilen oder radikale Bestrafung von Vetternwirtschaft. Es stellt sich hier natürlich die Frage, wie viele ihrer Anhänger dies befürworten würden, wenn es nur um die reine Schöpferkraft und den voraussetzungslosen Wettbewerb ginge. Dieses Stammesdenken, ein Form von eigenem kapitalistischen Mystizismus, hat sie niemals kritisiert. Dies ist bemerkenswert, denn wo zeigen sich archaische Muster denn am ehesten, wenn nicht in der Bevorteilung von Verwandten? Wenn es ein irrationales Geschehen gibt, dann das, was auf der Idee fußt, in der Weitergabe von Eigentum die eigenen Gene auch in Zukunft protegieren zu können.

Unhistorisches Bewusstsein und leere Freiheit

Rand ist sehr daran gelegen, sich von anderen Philosophieströmungen abzugrenzen. Der Existenzialismus ist eine der Richtungen, die sie vehement ablehnt. Bei genauerer Betrachtung zeigen sich aber doch m.E. viele Gemeinsamkeiten. Bei Sartre stehen Für-sich und An-sich gegenüber, doch kann keines ohne das andere sein. Das Für-sich als Bewusstsein ist ohne Inhalt und erst mit ihm kommt Freiheit und Veränderung in die Welt. Auch bei Rand ist das Bewusstsein ohne die existierende Realität nicht denkbar und eigentliche Fokus der Betrachtungen, ist immer nur eine bewusstseinsabhängige Erfahrung, eben wie im Existenzialismus. Das Bewusstsein wird in beiden Richtungen als frei konzipiert, im Existenzialismus führt der Entwurf zum An-sich zur Unfreiheit, im Objektivismus der nicht rationale Gebrauch und die Aufgabe der Nutzung des eigenen Bewusstseins. Beide gehen also davon aus, dass wesentliches Charakteristikum von Bewusstsein Aktivität und Engagiertheit ist und lehnen das Unbewusste als Mitspieler ab. 

Da das Bewusstsein in der bloßen Aktivität besteht (bei Rand als Fokussierung und rationaler Bewertung - bei Sartre im Verdammtsein zur Freiheit und Sichentwerfen), zeigt es in beiden Richtungen keine historische Formung, sondern ist immer reine Aktualität. Herbert Marcuse hat hier früh darauf hingewiesen, dass der Existenzialismus ein bürgerliches Denken ist: "In der Philosophie Sartres ist dieses Subjekt noch mit all dem Prunk ausgestattet, den die sich entwickelnde individualistische Gesellschaft einmal verlieh. Das "Für-sich" erscheint mit den Attributen absoluter Autonomie, ewigen Besitzes und ewiger Abneigung (genauso wie der Andere als derjenige erscheint, der meine Welt usurpiert, sich aneignet und sie taxiert, als der "Dieb" meiner Möglichkeiten). Hinter der nihilistischen Sprache des Existentialismus verbirgt sich die Ideologie der freien Konkurrenz, der freien Initiative und der für jeden gleichen Chance. Jedermann kann seine Situation "transzendieren", seinen eigenen Entwurf ausführen: jedermann hat seine absolut freie Wahl." (H. Marcuse: Existentialismus. Bemerkungen zu Jean Paul Sartre. In: Schriften 8, Suhrkamp, S. 23). Eine objektivistische Philosophie muss sich mit seiner eigenen ideologischen Verfasstheit auseinandersetzen. Hier muss der Vorwurf erhoben weren, dass die philosophische Durchleuchtung und Fundierung schlechter geraten ist, als bei Sartre (was nichts über den Ansatz an sich aussagt).