Warum Ayn Rand?

Schlaglichter auf das geistige Klima in der BRD

Für Ayn Rand war Philosophie nicht einfach nur eine abstrakte Beschäftigung oder ein Fach an der Universität. Für sie war Philosophie vielmehr die wesentlichste Tätigkeit einer Gesellschaft überhaupt, ihr Taktgeber und ihr Kompass. Die Wahl eines philosophischen Systems entscheidet nach ihrer Anschauung über sämtliche Lebensbereiche und ihre jeweilige Apperzeption - die Erfahrung wird, wenn man so möchte in die jeweils gewählte philosophische Grundform eingegossen.

Nun ist es natürlich an dieser Stelle nicht möglich, DIE Philosophie in Deutschland zu identifizieren, hier herrscht zum Glück noch zu viel Pluralität. Allerdings kann man m.E. allgemeine Tendenzen identifizieren, die heute kaum mehr von einer spezifischen politischen Motivation zu trennen sind, ganz so, wie Rand es auch annehmen würde.

Nach Rand hat die Philosophie keine geringere Aufgabe, als die Ziele und die Wege eines Menschen zu bestimmen. Alle Menschen besitzen eine Philosophie, die ihr Fühlen und Handeln leitet, aber nur die wenigstens besitzen eine explizite, eine zum vollen Bewusstsein gebrachte, philosophische Einstellung. Hier besitzen die Intellektuellen eine überragende Verantwortung:

 

"Der Intellektuelle trägt die Anwendung der philosophischen Prinzipien in alle Bereiche. Er bestimmt den Kurs der Gesellschaft, indem er Ideen vom „Elfenbeinturm“ des Philosophen zum Universitätsprofessor, zum Schriftsteller, zum Künstler, zum Journalisten, zum Politiker, zum Filmemacher, zum Nachtklubsänger und dann zum Mann auf der Straße trägt. [...] Er ist zuständig für moralische Werte, gesellschaftliche Theorien, politische Grundsätze, psychologische Leitsätze und vor allem die Prinzipien der Erkenntnistheorie – diesen wichtigen Zweig der Philosophie, der die Mittel des Wissens studiert und alle anderen Wissenschaften erst möglich macht. Der Intellektuelle stellt Augen, Ohren und Stimme einer freien Gesellschaft dar: Es ist seine Aufgabe, die Ereignisse der Welt zu beobachten, ihre Bedeutung zu bewerten und die Menschen in allen anderen Bereichen zu informieren. Eine freie Gesellschaft muss eine informierte Gesellschaft sein.
Rand, Ayn. Für den neuen Intellektuellen: Eine Streitschrift gegen die pseudointellektuellen Verführer in den Medien und Universitäten (German Edition) (S.29-30). mises.at. Kindle-Version.

 

Versagt der Intellektuelle in der Informationsanforderung, nicht nur durch Desinformation, sondern auch, weil er dafür sorgt, dass Information nicht mehr einen Wert an sich darstellt, stellt er sich in den Dienst von unterdrückenden Gesellschaftssystemen. Hier sieht Rand für die neuere Philosophie besonders Kant als negatives Beispiel an, da er das Eigentliche der Welt (das Ding an sich) als nicht erkennbar konzipiert und, so Rand, das Kriterium für die Gültigkeit von Vernunft von objektiv zu kollektiv umwandelte, indem er die wahrgenommene Welt als eine Welt der kollektiven Täuschung dachte (ebd.: S. 36):

 

"Sein Argument lautet in etwa so: Der Mensch hat ein Bewusstsein spezifischer Natur, das mit spezifischen Mitteln wahrnimmt und keinen anderen, daher ist sein Bewusstsein nicht gültig; der Mensch ist blind, weil er Augen hat – taub, weil er Ohren hat, getäuscht, weil er Verstand hat – und die Dinge, die er wahrnimmt, existieren nicht, weil er sie wahrnimmt." (ebd.: S. 37)

 

Wenn es keine objektive Welt mehr gibt, auf die sich Verstandes- und Vernunftvermögen beziehen, dann bleibt eine rein subjektive Innerlichkeit als Maßstab moralischen Handelns. Diese ist dann völlig losgelöst von angewandter Logik, Kritik und praktischer Nachvollziehbarkeit. Wer schon immer ein Problem mit Kants Beispiel hatte, in welchem man einem Mörder auf der Suche nach dem eigenen Freund das Versteck dieses Freundes zu veraten habe, weil Lügen ein Unrecht sei (Kant argumentierte hier nicht mit dem ganz konkreten, individuellen Leben des Freundes, sondern damit, dass man der Menschheit überhaupt schade, weil die Rechtsquelle unbrauchbar gemacht würde; s. auch den Beitrag auf Wikipedia Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen), wird diesen Punkt umittelbar verstehen. Von dieser Perspektive aus wird es wohl vertständlich, warum Ayn Rand in Kant eine enscheidende Wende in der Philosophie sah, die auch dazu führte, dass Menschen nach ihr moralisch geblendet wurden:

 

"Man kann Moral nur dann in eine Waffe der Versklavung verwandeln, wenn man sie vom Verstand und von den Zielen der menschlichen Existenz abspaltet. Man kann das Leben des Menschen auf der Erde nur durch die tödliche Entzweiung des Moralischen und des Praktischen degradieren. Moral ist ein Wertekanon, der die Entscheidungen und Handlungen des Menschen leiten soll. Wenn er so aufgebaut ist, dass er sich gegen das Leben und den Verstand wendet, wendet der Mensch sich gegen sich selbst und handelt blind als Werkzeug seiner eigenen Zerstörung." (ebd.: S. 18)

 

Es handelt sich bei diesen Erläuterungen nicht um theoretische Spielereien, wenn man sich anschaut, mit wieviel Furor sich im letzten Jahrzehnt die bloße Meinung Bahn bricht. Fakten und Gegebenheiten werden nach Belieben umgedeutet - einziger Maßstab ist das subjektive Empfinden und ein hinreichend einflussreiches Kollektiv, um etwas als "wahr" oder "falsch" zu deklarieren. Grammatiken, Geschlechter, Evolution, Geschichte usw., alles kann nach je nach eigenem Gusto umkonstruiert werden, vor allem dann, wenn der Staat als Akteur in sämtliche Lebensbereiche hineinwirkt und Lebensformen positiv oder negativ bestimmen möchte, was weit über seine eigentliche Funktion hinausgeht.

Und natürlich haben Intellektuelle hier eine wesentliche Hauptverantwortung, wenn sie als wahr lehren, dass die Welt und ihre Inhalte (unser Denken eingeschlossen) nur (soziale) Konstruktionen seien (der Widerspruch sollte hier augenscheinlich sein...).

Dieser Relativismus hat sich in der BRD an der Universität fest etabliert und wurde sogar in den meisten Bildungsplänen der Länder als verbindliche(!) Leitlinie für die Pädagogik festgeschrieben (vgl. Textor (2019) https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/292283/bildungsplaene). Maßgeblich ist hier der Begriff der Ko-Konstruktion. Reale Phänomene und Lerninhalte werden vollkommen aufgelöst und es geht im Grunde nur noch darum, wie ein jeder ein Phänomen interpretiert und wie man dann zusammen Bedeutung "findet". Taktgeber des Lernens ist die individuelle Deutung und das Meinen und nicht die Widerständigkeit realer (aber auch gerade deshalb gemeinsamer) Erfahrungen:

 

"Der soziale Konstruktivismus, der auf den Arbeiten Vygotzkys aufbaut, teilt diese Auffassung, sieht jedoch den wesentlichen Faktor für die Konstruktion des Wissens in der sozialen Interaktion. Demnach lernen Kinder die Welt zu verstehen, indem sie sich mit anderen austauschen und Bedeutungen untereinander aushandeln. Dies impliziert auch, dass die geistige, sprachliche und soziale Entwicklung durch die soziale Interaktion mit anderen gefördert wird, während nach Piaget Kinder bei der Entwicklung von Sprache und Intelligenz viel mehr auf sich selbst gestellt sind." (Fthenakis 2015: https://aba-fachverband.info/ko-konstruktion-lernen-durch-zusammenarbeit/)

 

Ausdrücklich wird die Erforschung von Bedeutung und nicht der Erwerb von Fakten stark gemacht, wobei letzterer in rhetorisch plumper Form meist mit autoritärer Pädagogik/Didaktik gleichgesetzt wird ("Für den Erwerb von Fakten müssen Kinder beobachten, zuhören und sich etwas merken." (ebd.)) Ob im Übrigen die kollektiv gefundene Bedeutung richtig oder falsch ist, ist nach dieser Philosophie zweitrangig, wichtig ist hier nur die Kollektivität einer Bedeutung oder Idee.

Die Einführung einer solch verbindlichen und vom Staat protegierten Erziehungsphilosophie ging von der breiten Öffentlichkeit völlig unbeachtet vonstatten. Während zuvor eine Pluralität pädagogischer Konzeptionen selbstverständlich und auch anzustreben war, wird nun die Orientierung an den Bildungsplänen, ja zum Teil durch verpflichtende Vereinbarungen von Ministerien mit Trägerverbänden, zur Bedingung pädagogischen Handelns erhoben und mit den Bildungsplänen eben eine (sozial-)konstruktivistische Philosophie, die der pädagogisch Tätige über kurz oder lang in sein Denken zu übernehmen hat.

Protest oder Debatten ausgehend von den Intellektuellen an der Universität? Fehlanzeige! Eifrig wird der relativistische Mainstream reproduziert und sich überrascht die Augen gerieben, warum außerhalb der universitären Bubble mit so viel Hass aufeinander reagiert wird, warum Regeln des Miteinanders immer mehr an Verbindlichkeit verlieren und kein Vorwärts und keine Innovation mehr vorhanden sind, weil das bloß meinende und wollende Subjekt der neue Götze ist. Es bleibt in Bezug auf den Staat dennoch eine für diesen sehr günstige Situation: Wer kein Richtig oder Falsch in der Welt kennt, kann alles Glauben und Akzeptieren.

Genau diese gesellschaftliche Situation macht Ayn Rands Philosophie, den sogenannten Objektivismus, attraktiv. Dieser konzipiert individuelle Verantwortung auf Basis eines objektiven Weltbildes und bejaht den Zusammenhang von Erkenntnis und Moral. Als integriertes Denkgebäude zeigt er eine Alternative zu den maroden Theorien, die an den Universitäten protegiert werden (hier vor allem der Postmodernismus und Pragmatismus) und deren Inhalte nicht mehr aufgrund wahrer Inhalte, sondern als Lifestyle-Etikett nur noch um ihrer selbst wegen vertreten werden.

Im Objektivismus sind Theorie und Praxis in einer systematischen und harmonischen Form miteinander Verbunden und die Suche nach Wahrheit wieder das, was sie sein sollte:

die genuin menschliche Form des Lebens.